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Raumbilder (download
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Die Bilder von Stefan Ssykor führen selten
Titel, haben aber immer ein Thema. Sie handeln vom Raum als Licht- und
Farbraum, von labyrinthischen Räumen, von Raumfallen, von
Wahrnehmungsräumen und Raumclustern. Dieses Thema behandelt
der Künstler seit langem erfindungsreich und obsessiv mit den
Mitteln und Möglichkeiten der Malerei, in den immer wieder
erweiterten Grenzen des Tafelbildes. Die Ausgangslage seiner
künstlerischen Forschung scheint dabei ebenso breit wie
unsystematisch. Sie liegt im weiten Feld des Visuellen ebenso wie in
den historischen Tiefen eines Raumbegriffes, der seinen Ursprung in der
griechischen Philosophie und der Ambivalenz von Endlichkeit und
Unbegrenztheit des Raumes hat. Doch Raumfragen sind für Stefan
Ssykor zunächst und immer wieder aufs neue
Wahrnehmungsfragen.Wie lassen sich unterschiedliche
Raumzustände darstellen? Welche konstruktiven und malerischen
Mittel sind einzusetzen, um bestimmte Räume zu erfinden oder
einzelne Raumwirkungen zu erzeugen? Wie verändern sich
Räume, in denen wir uns bewegen?
Schon immer ließen sich zwei bildkünstlerische
Verfahren unterscheiden, den Raum auf der Fläche des Bildes
darzustellen: durch die Zentralperspektive, einschließlich
der Tiefenstaffelung und Überschneidung der
Gegenstände und mittels der Farbperspektive
einschließlich der Erkenntnisse über den
unterschiedlichen Raumwert einer Farbe. Stefan Ssykor macht sich beide
Verfahren zu eigen, um eine weitere hinzuzufügen und
höchst eigenständig auszuarbeiten. Dabei verbindet er
die Raumhaftigkeit der späten New Yorker Bilder eines Piet
Mondrian mit den Untersuchungen der »Interaction of
Color« von Josef Albers, um raumhaltige Konstruktionen,
chromatische Verläufe, Interferenzen, Überblendungen
zu schaffen.
Dies konnte allerdings nur gelingen vor dem Erfahrungshintergrund eines
ganz selbstverständlichen Umgangs mit den neuen Medien. Die
digital erzeugten Bilder haben nicht nur die Sehgewohnheiten der
Rezipienten verändert, sondern beeinflussen längst
auch die Themen und bildkünstlerischen Verfahren
zeitgenössischer Künstler. Dabei lassen sich Thorben
Giehler, Sarah Morris oder eben Stefan Ssykor nicht von den
produktionstechnischen Möglichkeiten digital erzeugter Bilder
beeindrucken. Vielmehr werden Konstruktionsverfahren, extreme
Perspektiven, das Kombinieren unterschiedlicher Raumfluchten oder das
Experimentieren mit Farbverläufen, die an extreme
Kamerafahrten erinnern zum Fundus der eigenen Bilderfindungen.
Jenseits aller kunsthistorischen Ableitungsäquilibristik
scheint hier, in der »virtuellen Existenz Computer
generierter Bilder« (ROLF SACHSSE), das eigentliche
Forschungsfeld von Stefan Ssykor zu liegen. Zweifellos kamen dem Maler
die Raumhaltigkeit und die Vielfalt an Perspektiven dieser neuen
Bilderwelt entgegen. Aber auch das Durchspielen von Alternativen, die
Möglichkeiten des Renderings, die Variabilität der
Einstellungen wurden zu nützlichen Hilfsmitteln für
die eigenen Bildvorstellungen. Doch Ziel war immer das gemalte Bild,
auch um die »Traurigkeit« (BEAT WYSS) und Leere zu
überwinden, die die Konstruktion digitaler Räume oft
hinterlässt.
Letztlich sind es wenigstens drei
Qualitäten, durch die Stefan Ssykor sein Ausgangsmaterial
oder: die Welt seiner Vor-Bilder hinter sich lässt.Da ist
zunächst die materiale Existenz und Präsenz der
Werke, ihre an Ort und Zeit gebundene Originalität. Will man
diese Werke angemessen rezipieren, dann muss man sie aufsuchen. Das
Bild selbst stellt die Bedingungen, unter denen es betrachtet und
verstanden werden will. Nur vor den Originalen lassen sich
Oberflächenstruktur, Größe und Schwere des
Bildkörpers oder die Interaktion der Farben –
bezogen auf die vom Künstler intendierte Aussage –
verlässlich nachvollziehen und verstehen. Die Begegnung mit
dem Original ist bei den Arbeiten von Stefan Ssykor eine Bedingung ohne
Ausnahme, weil jede Reproduktion das Bild auf jene digitalen Bildwelten
reduziert, die es als Original kommentiert. Abbildungen der Werke sind
nur bei Verlust dieser Differenz zu haben.
Bleibt dieser Unterschied durch eine
Betrachtung des Originals erhalten, dann zeigt sich im Vergleich mit
Computer generierten Farb-Raum-Bildern zweitens eine Qualität
der Abweichung. Bei aller Klarheit der Bildanlage, bei aller Sicherheit
in Farbwahl, Farbabstufung und Farbauftrag leben die Bilder von Stefan
Ssykor auch von Fehlstellen, Störungen und einer Polyvalenz
der Perspektiven, die kaum zu programmieren wären. Der
Künstler wird hier »Verwalter vieler
Diskurse« (MILA HORKY), zum Administrator eines
kommunikativen Netzwerkes – ohne in dem von ihm verwalteten
Medium aufzugehen. Er bleibt Autor eines Metaprogramms, das er mit all
seinen subjektiven Abweichungen vorstellt.
Und schließlich: Das Programm
dient der Erschaffung von Räumen. Der Raum ist das zentrale
Thema der hier zusammengestellten Werke von Stefan Ssykor. In der Art,
wie der Künstler diese Räume gestaltet, liegt die
entscheidende Qualität seines malerischen Werkes. Subjektive
Abweichungen, Mehransichtigkeit und tiefenräumliche
Indifferenzen machen die Räume eher sinnlich denn rational
erfahrbar. Vor dem Original geht oft eine vorbewusste Raumerfahrung
einer bewussten Auswertung der vorgefundenen Raumordnung voraus. Weil
die Bildräume von Stefan Ssykor nicht geometrisch-logisch
konstruiert und also objektivierbar zu machen sind, lassen sie sich
eher mit dem Körper und seinen Sinnen erfahren. Wir stellen
uns vor, in ihnen zu sein, durch sie hindurch zu gehen, die
unterschiedlichen Raumatmosphären zu spüren. In
diesem Sinne sind es anthropologische Räume«
(MERLEAU-PONTY), die sich dem Betrachter öffnen und
für eine gefühlte Erfahrung zu Verfügung
stehen.
Michael Schwarz